Die Combatants for Peace stellen sich vor
Steffen, ein Mitglied unserer Basisgruppe, berichtet von seinem Besuch einer Veranstaltung der israelisch-palästinensischen Friedensinitiative "Combatants for Peace" im Allerweltshaus.
Wir haben den 12. September, mein palästinensischer Freund Mohamed und ich sitzen in der U-Bahn auf dem Weg zum Allerweltshaus in Köln Ehrenfeld. Um 20 Uhr am heutigen Tag soll dort nämlich eine Veranstaltung der 2005 gegründeten Combatants for Peace stattfinden. Zwei Vertreter*innen der Combatants for Peace werden dann ihr eigenes Erleben des Israel-Palästina Konflikts schildern, unterstützt durch ihrer Übersetzer*innen. Besonders an dieser Veranstaltung ist: Die beiden Vertreter, ein Palästinenser – aus den besetzten Gebieten – und ein Israeli – der beim Militär war.
Es ist zehn vor acht wenn wir das Allerweltshaus betreten, drinnen erwartet uns eine bunt zusammengewürfelte Einrichtung und eine freundliche Atmosphäre. Eintritt zahlt man hier „was es einem wert ist“. Der Raum, in dem die Veranstaltung stattfinden wird, ist bereits gut gefüllt. So gut wie alle Stühle und Tische sind bereits von Interessierten okkupiert. In der hintersten Ecke finden wir dann schließlich noch Platz für uns, gerade rechtzeitig, denn die Ansprache beginnt.
Zuerst kommen natürlich die Organisator*innen zu Wort, die sich aber erfreulich kurz halten, so dass man zum Hauptprogrammpunkt voranschreitet. Jetzt wird es totenstill – zum Glück, Mikros gibt es nämlich keine. Während beider Berichte sollte es keine lauten Geräusche bis auf das periodisch wiederkehrende Quietschen eines Tisches geben.
Hai Ashkenzai heißt er, geboren in der Nähe von Tel Aviv auf dem Hof seines Vaters. In seiner Kindheit haben Palästinenser noch Seite an Seite mit Israelis bei seinem Vater eingekauft und gearbeitet. Nach der High-School muss Hai dann vier Jahre Militärdienst leisten – ein Jahr mehr als üblich, da er eine Offizierslaufbahn einschlagen will. 1-2 Monate gab es nun Training, dann galt es 1-2 Monate in den Straßen der Palästinenser*innen zu patrouillieren und für „Ordnung“ zu sorgen. Der Zyklus wurde dann von Kämpfen im Libanon-Krieg gegen syrische Truppen sowie Kämpfenden der PLO abgeschlossen. Am schlimmsten, gesteht Hai, sei das Patroulieren in den Straßen gewesen, denn dort hätte es nur Zivilist*innen gegeben, die ab und an, seit Ausbruch der Intifada (1987) mit Steinen warfen. Jedes Mal, wenn er wieder zurück zu seinem Patrouillendienst kommt, wird ihm von seinen Vorgesetzen gesagt, seine Vorgänger*innen wären aggressiver vorgegangen und es hätte geholfen. Hai wertet es als Aufforderung zur Aggression.
Nach seinem Militärdienst zieht es ihn wie viele Israelis ins Ausland, seine Pause verbringt er in Indien. Aber immer wenn er durch die engen indischen Straßen geht, drängt er sich an die Hauswände, denn dort ist man bei Patrouillen vor den großen Brocken die von Dächern kommen sicherer. Auch wenn Hai Angst hatte, trotz all der Ausrüstung, auch wenn Hai es nicht gut fand was dort geschah, so resümiert er doch: „Irgendjemand musste es tun“.
Als 2000 dann die zweite Intifada anfängt, verliert Hai die Hoffnung auf Frieden. Diese überstieg die erste Intifada deutlich an Gewalt und Brutalität. Irgendwann zu dieser Zeit surft er dann im Netz um eine Hassbotschaft auf einer Hamashomepage zu hinterlassen. Dabei stößt er auf eine Seite der Hamas, welche die Deportationen von Palästinenser*innen im Jahre 1967 thematisiert. Er konnte das kaum glauben, hatte er doch noch nie davon gehört. Also fragt er seinen Vater – zu seinem Erstaunen bestätigt ihm dieser die Informationen. Vom Gefühl getrieben, nie richtig informiert gewesen zu sein beginnt er mehr und mehr Informationen zu hinterfragen und zu recherchieren. Aus seinem neu gewonnen Wissen heraus tritt er dann den Combatants for Peace bei.
Hai schließt den kurzen Abriss seines Lebens dann mit ein paar letzten Schlussworten:
Israel sei klar zu kritisieren, die Welt nicht schwarz-weiß, wie es die israelische Berichterstattung teilweise suggeriere, aber auch die Bevölkerung wolle oft nicht zuhören. Rechte Israelis werfen ihm vor er sei kein Zionist, aber er sagt von sich er sei Pro Israel – trotzdem oder gerade deshalb müsse und dürfe man Israels Handeln kritisieren – als Zionist.
"Blut hat nur eine Farbe"
Hai Ashkenzai (mitte links) und Jamil Hassas (mitte recht) (Foto von Sarah Lenkeit) |
Der zweite Redner des heutigen Abends ist Jamil Hassas, einleitend begrüßt er uns mit einem breit erwiederten Salam Alaikum. Jamil sagt von sich, er sei ein Palästinenser, aber vor allem ein Mensch. In seiner Familie gab es allein drei Opfer durch den Konflikt. 1948 wird die gesamte Familie bis auf den Großvater deportiert – sie werden ihn nie wieder sehen. 1967 muss die Familie dann während des Sechstage-Kriegs nach Jordanien fliehen. Kurz nach Jamils Geburt entscheiden sie sich dann aber zurück in ihr Heimatland zu ziehen, in der Hoffnung in ihr Dorf zu gelangen. In Israel werden sie dann aber in einem Flüchtlingslager untergebracht. Trotz entsprechender UNO Beschlüsse sind sie bis heute nicht in ihr Land zurückgekehrt.
Bei den Kämpfen im Libanon 1979 stirbt einer seiner Onkel, der andere wird schwer verletzt. Nachdem die PLO militärisch besiegt war, kam es dann zum Massaker von Sabra und Schatila. 150 libanesische Milizionäre durchkämmten unter Beobachtung der israelischen Soldaten die beiden Lager und töteten und verstümmelten dabei 800-3000 unbewaffnete Zivilist*innen. Seine Familie lebt nun wieder in einem anderen Flüchtlingslager, ganz in der Nähe der Patrouillenwege. Immer wieder, wenn Jugendliche Steine nach den Soldaten schmissen, wurden die Familien in der Nähe der Patrouillenrouten „besucht“. Im Klartext bedeutete das meist Schläge und Beschimpfungen. Er fragt seine Mutter warum die Männer das tun, aber sie weiß keine Antwort.
1987 bricht dann die erste Intifada aus, er beteiligt sich an dem Aufstand in dem er Steine schmeißt. In seinem jugendlichen Hass muss er seine Wut loswerden, er gesteht, vielleicht habe er am meisten Steine geschmissen. Im Rahmen dessen wird Jamil, der noch ein Teenager ist, mehrmals verhaftet. Die Behandlung sei dann nicht „optimal“ gewesen, Misshandlung und Schläge seien der Grund dafür gewesen. Als er dann 14 Jahre alt wird, wird er ein letztes Mal gefasst und in administrative Haft gegeben. Für Jamil bedeutet das, dass er eine eigene Akte bekommt und dass seine Aufenthaltsdauer beliebig verlängert werden kann.Nach 6 Monaten Haft wird Jamil entlassen, zurück im Lager muss er mit Erschrecken feststellen, dass es mit einem 9m hohen 3km langen Zaun umzäunt ist. Zudem gibt es eine Ausgangsperre, die von Abends um 7 bis morgens um 9 gilt. Nach der fälschlichen Erschießung eines jugendlichen wird die Ausgangssperre einige Stunden nach hinten verschoben, damit die Beerdigung den Traditionen Gemäß vonstattengehen kann. Sein kleiner Bruder will nach der Beerdigung noch 40m zum Haus seines Onkels gehen, als er die Patrouillierenden Soldaten sieht. In der Angst vergisst er, dass die Ausgangssperre nach hinten verschoben wurde. Also beginnt er zu rennen, die Soldaten folgen ihm 50m, geben es dann aber auf, einer der Soldaten legt an und schießt auf seinen Bruder. Der Bruder kommt ins Krankenhaus von Bethlehem, wo ihn Jamil besuchen will, aber die Krankenschwester will ihn nicht vorlassen und erst den Arzt verständigen. Da wusste er, dass sein Bruder tot war.
Für ihn stürzt der Himmel ein. Er nimmt seinen Bruder mit nach Hause, die 20 Minuten kommen ihm wie zwanzig Jahre vor. Auf diese Nachricht fängt die Mutter an zu weinen und sagt zu ihm, sie habe seinen Bruder verloren und wolle ihn nicht auch verlieren. Der Vater wird wenige Tage später krank und stirbt, seine Mutter beginnt mit Bluthochdruck zu kämpfen. Nun muss er sich um die Ernährung der Familie kümmern, die Intifada ist gerade vorbei und so könnte er in Israel jobben. Dort will er aber nicht hin, da „die“ seinen Bruder umgebracht haben. Nach einiger Zeit wird er durch die ökonomische Situation der Familie dann jedoch gezwungen. Er bekommt einen Job in einem kleinen Krämerladen. Sein neuer Chef bittet ihn, ihm seine Geschichte zu erzählen, bevor er anfängt – also erzählt er. Sein Chef ist nach der ganzen Geschichte sichtlich mitgenommen, reicht ihm die Hand und beteuert, er könne nun hier bleiben. Da wird ihm klar, dass die Israelis nicht die Militärbesatzung sind und auch nicht die Mörder seines Bruders.
Während der zweiten Intifada verschlechtert sich die Lage in Jerusalem dann wieder, nach einem Selbstmordattentat in einem Bus kommt er nach Hause. Seine Mutter weint, woraufhin er sie fragt, warum sie weine. Sie erklärt ihm: „Die Mütter der gestorbenen Kinder werden denn selben Schmerz empfinden wie ich beim Tod deines Bruders. Blut hat nur eine Farbe.“. Er erkennt, dass es wie bei den Palästinensern auch bei den Israelis gute und schlechte Menschen gibt. Also tritt er einem Palästinensisch-Israelischem Verein bei, der sich um Angehörige der Toten des Krieges kümmert. Vor 2 Jahren trat er dann den Combatans for Peace bei. Mit den letzten Worten seines Berichts entschuldigt er sich, falls er Schimpfwörter benutzt hat.
Nun startet die Fragerunde, bei der Beide die entstandenen Fragen beantworten. Pünktlich um zwanzig nach zehn ist die Veranstaltung vorbei. Langsam verstreut sich das Publikum, einige besonders Interessierte fangen noch ein persönliches Gespräch mit den beiden Combatants an. Wir brechen, nachdenklich gemacht, mit den meisten anderen in das Dunkel der Nacht auf.
Weiterführende Links:
https://www.facebook.com/events/1557394631149371/
https://www.facebook.com/c4peace
http://cfpeace.org
www.menschenrechte-koeln.de