Dienstag, 12. Januar 2016

Für Angstfreiheit – für Frauen, für Flüchtlinge, für Alle, egal zu welcher Tageszeit!

Rassismus ist nicht die Antwort auf Sexismus – für eine befreite, feministische Gesellschaft

Nach vielen Augenzeug*innenberichten, die die Täter der Kölner Silvesternacht als 'nordafrikanisch' beschrieben, ist nun bekanntgeworden, dass sich unter den 19 Tatverdächtigen 11 Asylbewerber befinden sollen. Dazu erklärt Felix S. für die Linksjugend ['solid] Köln:
Dieser Fakt ändert ebensowenig an der Schrecklichkeit einer jeden Grenzüberschreitung (3), wie die Schutzbedürftigkeit eines jeden Flüchtenden.“

Jetzt missbrauchen Rassist*innen, wie bürgerliche Medien diesen Fakt um wieder einmal gegen Flüchtende zu hetzen und nicht zuletzt die Abschiebung krimineller Asylbewerber*innen zu fordern. Dazu zählen neben dem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), auch Nick Hein (Sportler und ehemaliger Bundespolizist) und nicht zuletzt auch Sahra Wagenknecht (Fraktionsvorsitzende Die Linke.) (5). Dazu Felix S. weiter: „Wenn man der Argumentation folgt, würde das im Fall von Vergewaltigern dazu führen, dass diese in ihren jeweiligen Herkunftsstaaten weiterhin - womöglich unbestraft - Frauen belästigen könnten. Frauen würden also wieder der Gefahr durch Übergriffige ausgesetzt.“


Hannelore Kraft merkt an, dass Abschiebung mit der gegebenen Gesetzeslage nicht möglich ist, da manche Täter anscheinend nicht als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Generell können Menschen nur abgeschoben werden, wenn ihre Herkunftsländer sie wieder aufnehmen. Das will Hannelore Kraft vereinfachen und Siegmar Gabriel droht diesbezüglich sogar mit der Kürzung der Entwicklungshilfe, falls die Länder die Straftäter aus Köln nicht wieder aufnehmen. Die Union träumt zur gleichen Zeit davon, dass Asybewerber*innen, die eine Freiheitsstrafe auch auf Bewährung bekommen, ihr Aufenthaltsrecht verlieren.(8) Der Fakt des strafrechtlichen Verfahrens sollte jedoch unabhängig von der Anerkennung des Asylstatus sein, da ein*e Schutzbedürftige*r sonst Asyl versagt bleiben könnte. Zugleich schlägt sie vor, die Schleierfahndung, also verdachtsunabhängige Kontrollen gegenüber anscheinend nicht-Deutschen zu Anlässen wie Silvester, auszubauen. (6) Sieht so die befreite Gesellschaft, die westliche Zivilisation, die europäische Wertegemeinschaft aus?

Insgesamt fokussiert sich die politisch-mediale Debatte vor Allem auf diesen Umstand, auf die nicht-Deutschen Täter. Damit trifft sie eine rassistische Unterscheidung zwischen deutsch gelesenen und als nicht-deutsch gelesenen Tätern. (1) Erstens werden dadurch die Taten der als deutsch gelesenen Täter weniger geächtet im öffentlichen Diskurs, was den Fokus von der größten Tätergruppe wegverschiebt, zweitens werden Maßnahmen zur Unterstützung der belästigten Frauen kaum diskutiert. Zumindest der tagesshau.de wies im Kontext der kölner Ereignisse auf die Problematik der geltenden Gesetzeslage hin:

In Deutschland ist eine sexuelle Handlung gegen den ausdrücklichen Willen einer Person nicht strafbar. Weint eine Person oder sagt sie "Nein", reicht das nicht aus. Es muss ein weiteres Nötigungsmittel vorliegen. Der Paragraph 177 im Strafgesetzbuch, der Vergewaltigung und sexuelle Nötigung regelt, stellt drei Bedingungen: Der Täter muss entweder Gewalt angewendet oder damit gedroht haben oder eine schutzlose Lage, aus der das Opfer sich nicht selbst befreien konnte, ausgenutzt haben. Eine Bedingung muss erfüllt sein, damit die Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung strafbar ist.Dadurch gibt es immer wieder Fälle, in denen Täter freigesprochen wurden, obwohl das Opfer "Nein" gesagt habe. Argumentiert wird dann, es sei keine Gewalt angewandt worden, das Opfer hätte sich wehren oder Hilfe holen können, manchmal soll auch die Drohung des Täters zu vage gewesen sein. "Das ist vorbei an der Realität. Opfer sexueller Gewalt geraten oft in eine Schockstarre", sagt Wizorek. (2)

Tagesschau.de weiter: 
„Es hängt von der Reaktion des Opfers ab, ob die Tat strafbar ist oder nicht", kritisiert Katja Grieger vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen (bff). Das Problem: Die Polizei riet in der Vergangenheit, sich nicht zu wehren. Hinterher kann die fehlende Gegenwehr dem Opfer vorgeworfen werden. […] Dadurch bleibt Vergewaltigung oft straffrei. […]Zahlen des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen zeigen: Von 2001 bis 2012 wurden jährlich etwa 8000 Vergewaltigungen in Deutschland angezeigt. Durchschnittlich wurden etwa 1300 Anklagen erhoben. Die meisten Anzeigen enden mit der Einstellung des Verfahrens. In den elf Jahren gab es weniger als 1000 Verurteilungen. Weniger als jede zehnte Anklage kommt also zur Verurteilung.Für Grieger wird dabei deutlich: "Schon vor den Ereignissen von Köln gab es viele Fälle, die gezeigt haben, dass das aktuelle Recht nicht ausreicht." Sie kritisiert: Die Betroffenen quälten sich schon genug. "Die Justiz setzt noch einen drauf."Lücken im Gesetz sollten schon vor einigen Jahren geschlossen werden - mit der Istanbul-Konvention. Mehrere Staaten unterzeichneten diese internationale Selbstverpflichtung bisher, auch Deutschland. Ratifiziert wurde die Konvention hier allerdings nicht. Denn Artikel 36 der Konvention verlangt, dass jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe gestellt wird. Das ist in Deutschland aber aktuell nicht der Fall.

Dazu meint Felix S.: „Wir fordern eine Änderung des Artikels §117 im Strafgesetzbuch gemäß der Istanbul Konvention, sodass jegliche nicht-konsensuale sexuelle Handlung unter Strafe gestellt würde. In Bezug auf Köln, fordern wir zudem die längst überfällige Schaffung eines 3. Frauenhauses. Diese Debatte kommt erst jetzt, weil die Täter nicht-Deutsche sind, nach Jahren wieder hervor.“

Im Zuge dieser Debatte beabsichtigt die Regierung, dass beispielsweise Taten, bei denen sich das Opfer aufgrund des Überraschungseffektes nicht wehrt, ebenfalls als straffällig erachtet werden. Dadurch würden aber immer noch nicht alle Grenzüberschreitungen als Straftat betrachtet werden. Darauf antwortet Dagmar Freudenberg, vom deutschen Juristinnenbund bei tagesschau.de mit: „Nein heißt Nein“, und fordert eine Neuregelung die ausnahmslos alle Grenzüberschreitungen einschließt. (

7)

Gar nicht Teil der Auseinandersetzung ist die Problematik von Frauen ohneoffiziellen Aufenthaltstitel Opfer sexualisierter Gewalt werden. Oft kommt es im Zuge der Ermittlungen zur Erfassung des Aufenthaltstitels, was widerum an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) übermittelt, was dann in der Abschiebung enden kann. De facto werden diese Frauen dafür bestraft, die gleiche 'Fürsorge' durch den Rechtsstaat in Anspruch zu nehmen wie deutsche Frauen. Sie sind somit doppelt Opfer von Sexismus und Rassismus.

Zahlen einer europaweiten Studie aus dem Jahr 2014 zur Gewalt gegen Frauen, die vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen für Deutschland ausgewertet wurde, legt zudem offen, wie weit die derzeitige Debatte über 'kriminelle Flüchtlinge' von der Realität der meisten Opfer entfernt ist:

Kathi H. meint dazu: „Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Grenzüberschreitungen aus einer feministischen Perspektive. Dazu gehören Schulungsmaßnahmen für Polizeibeamte, geschlechtersensible Pädagogik zur Vorbeugung solcher Straftaten, antisexistische Aufklärungsarbeit und eine differenzierte, öffentliche Debatte über Sexismus und den Ursachen von Gewalt.“ Diese und weitere Forderungen vertritt auch die kürzlich gestartete Kampagne #ausnahmslos, die die Linksjugend ['solid] Köln ausdrücklich unterstützt.

Kathi H. weiter: „Wir als feministische Jugendorganisation hätten uns eher in diese Debatte einmischen sollen. Insbesondere nach den gestrigen Übergriffen in Leipzig von Teilnehmer*innen 'Jubiläums-Legidademo', die einer Reporterin deren Kamera ins Gesicht schlugen, währenddessen auf der Bühne von der Rettung 'unserer Frauen' schwadroniert wurde und im Anschluss in Connewitz massive Ausschreitungen gegen Geschäfte und antifaschistische Strukturen durch 250 Hooligans der rechten Szene und bekannte Neonazis verübt wurden. Am Kölner Hauptbahnhof war es in der Nacht von Sonntag auf Montag ebenfalls zu Übergriffen durch Hooligans und Nazis auf als nicht deutsch gelesene Personen gekommen. Diese Form der Selbstjustiz hebelt den Rechtsstaat, den sie vorgibt zu beschützen, erst aus. Deshalb erscheint es wichtig, der rassistischen Hetze progressive feministische Antworten auf die Widersprüche einer sexistisch-rassitischen 'gesellschaftlichen Mitte' zu geben.(4)“

Unsere Vision ist die Schaffung von Angstfreiheit, und zwar für Alle! Nicht Kontrollzwang, Asylgesetzverschärfungen und Abschiebungen lösen die Konflikte, sondern progressive Entwicklung auf allen Ebenen.

Beschlossen durch das Plenum der Linksjugend ['solid] Köln.

Anmerkungen:

  1. Eine ähnliche Ansicht vertritt auch die Tagesschauredakteurin Anna Mareike Krause in folgendem Kommentar:
    Denn es ist keineswegs so, als hätten bis zu dieser Silvesternacht alle Frauen in Deutschland in Sicherheit gelebt. Struktureller Sexismus ist in unserer Gesellschaft fest verankert und bildet den Nährboden für Übergriffe und Gewalt.“
    Krause weiter: „Entlarvend ist hierbei, dass sich die gegenwärtige Diskussion nicht gegen sexualisierte Gewalt im Allgemeinen wendet, sondern nur gegen diese konkreten Taten in dieser Nacht, durch diese konkrete Tätergruppe. Damit Frauen in Deutschland vor sexualisierter und körperlicher Gewalt sicher sind, ist das zu wenig. Denn die Mehrheit der Sexualstraftaten wird begangen von Männern, deren Frauenbild nicht importiert ist. Welch ein Hohn für die Opfer, wenn sie vor den einen Tätern geschützt werden sollen - und vor den anderen nicht.“
    http://www.tagesschau.de/kommentar/kommentar-sexismus-101~_origin-1f02801c-64c0-42bf-89b9-59306a3caa84.html
  2. Anne Wizorek stieß eine Debatte über Sexismus auf Twitter mit dem Hashtag #aufschrei mit an.
  3. Grenzüberschreitung bezeichnet die Überschreitung einer persönlichen Grenze des Opfers in einem sexuellen Sinne. Sei es Street Harrassment, Grabschen in der Bahn, Vergewaltigung, etc. …
  4. Das Argumentattionsmuster ist teilweise von der Gruppe 'cosmonautilus abgeschrieben. In ihrem Text setzen sie sich mit der Diskussion zu Köln innerhalb der linken Szene auseinander:
  5. Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn und viele weitere Mitglieder der Partei DIE LINKE widersprechen dieser Aufassung im Übrigen vehement.
  6. auch bekannt als Racial Profiling. Die gesamte Mainzer Erklärung vom Bundesvorstand der Union findet ihr hier:
  7. Die Union fordert neuerdings in ihrer Mainzer Erklärung (s. 12) ebenfalls, dass der Artikel §117 im Strafgesetzbuch der Istanbul-Konvention angepasst wird. Ob das Abkommen jedoch Jahre nach der Unterzeichnung damit endlich ratifiziert würde, bleibt fraglich.
  8. Mittlerweile haben sich Maas und de Maizere darauf geeinigt. Menschen, die aufgrund von Krieg, Mord oder Verfolgung nicht abgeschoben werden können, sollen die Sozialleistungen und Freiheiten entzogen werden. Wo bleibt der Gleichheitsgrundsatz fragen wir uns da.
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesregierung-will-kriminelle-auslaender-schneller-ausweisen-a-1071646.html